Was ist grauer als unser Suzuki Jimny? Der zweite Tag auf Island! Ich schaue aus dem Fenster und denke mir: so müssen sich -6 Dioptrien ohne Brille anfühlen. Sichtweite fünf Meter und Nieselregen noch dazu.
Tag 2: Von Laugarvatn nach Borgarnes
Unterwegs im Þingvellir-Nationalpark
Wir sind im Þingvellir-Nationalpark und wer jetzt an einsame Natur denkt, dem sei gesagt, wir sind auf Island. Ein überfüllter, gebührenpflichtiger Parkplatz erwartet uns. Es ist erst 9 Uhr und ich bin schon wieder genervt von den vielen Touristen.
Zum Glück regnet es in Strömen. Ideal für eine dreißigminütige Wanderung zum Öxarárfoss. Schon wieder ein Wasserfall, denke ich mir. Aber nicht irgendeiner, schließlich wurden hier Szenen von Herr der Ringe gedreht. Zumindest dachte ich das, als ich die Film-Ausschnitte sah, die als laminierte Fotos am Wasserfall ausgelegt waren.
Eifrig greife ich zum Smartphone und poste es als Instagram-Story. Später bemerke ich: es war nicht Herr der Ringe, sondern Game of Thrones. Peinlich. Nun ja. Ich schaue eben keine Serien, bei mir liefert das echte Leben genug Geschichten 🙂
Die Flucht aus dem Trubel
Wir flüchten aus dem Trubel. Es geht landein. Keine Menschen weit und breit. Es ist herrlich. Am Straßenrand bieten sich immer wieder Fotomotive.
Ich verstecke mich hinter einem kleinen Strauch, für ungestellte Fotos der belebten Natur. Aber mit 1,91 m Körpergröße, leuchtend blauer Jacke und aufgeschnalltem 70-200 Objektiv, was wie ein Jagdgewehr wirkt, erkennt mich jedes Schaf aus 100 km Entfernung.
Irgendwas ruft mir das rechte Schaf auch zu. Ich antworte förmlich, dass ich leider kein isländisch spreche und gehe zurück zum Auto. Dann schaue ich auf die Tankanzeige. Mist, nur noch ein Balken bis zur Reserve. »Wie weit ist es zum nächsten Ort?«, frage ich Pino. Er schaut aufs Smartphone. »Wir haben leider kein Netz, aber es waren mindestens 100 km«. Ich weiß, ihr wollt, dass wir trotzdem weiterfahren und mit leerem Tank im Nichts stecken bleiben. Aber nein, sorry. Wir haben gewendet und sind 40 km zurück zur letzten Tankstelle gefahren. Wie so oft ist der Weg das Ziel.
Was gibt es sonst noch zu sehen? Islandponys! Überall. Wer steht auf Blondinen?
Nach zwei Stunden Fahrt erreichen wir wieder die Zivilisation. Erste Häuser tauchen auf, doch alles scheint verlassen. Hier blicke ich auf das Fossatún Country Hotel.
Hraunfossar
Unser eigentliches Ziel sind aber die Hraunfossar Wasserfälle, in der Nähe der Orte Húsafell und Reykholt im Westen Islands. Wie üblich kann man direkt mit dem Auto ranfahren und wird auf gut ausgebauten Wegen zum Aussichtspunkt geführt. Die Wasserfälle sind schön anzuschauen, auch wenn die Lichtstimmung hier unspektakulär war.
Wir erreichen unser heutiges Hostel und suchen nach einem Restaurant, im recht groß wirkenden Ort Borgarnes. Was isst man auf Island überhaupt? Fisch? Keine Ahnung, wir finden nur die obligatorischen Tankstellen und essen Burger mit Pommes, zum Preis eines 5-Gänge-Menüs in Deutschland. Dafür haben wir im Hostel zum ersten Mal ein eigenes Bad mit Dusche. Leider stinkt das Wasser durch den hohen Schwefelgehalt in der Region. Beim Zähne putzen hat man geschmacklich faule Eier im Mund. Ich schnappe mir eine Flasche Wasser, die ich gerade für 4 EUR im Supermarkt gekauft habe, und spüle kräftig nach.
Tag 3: Von Borgarnes nach Staðarflöt
Eldborg
Es kommt mir vor als wären wir schon ewig auf Island unterwegs. Aus unserem Fehler vom Vortag haben wir gelernt und suchen zuerst nach einer Tankstelle. Dann machen wir uns auf den Weg zum Eldborg-Krater. Der Vulkan kommt uns sehr nah vor, als wir ihn aus der Ferne sehen. Wer genau hinschaut, sieht ein junges Pärchen auf dem Rand des Kraters stehen. Tatsächlich brauchen wir aber mehr als eine Stunde, bis wir dort sind.
Unser Ziel war es, die Drohne über dem Vulkan kreisen zu lassen. Doch mit jedem Meter, den wir am Krater aufsteigen, wird der Wind stärker. Oben angekommen, weht es uns fast wieder runter. Es war kaum möglich die Kamera zu halten. Die Mavic (Affiliate-Link) bleibt im Rucksack.
Auf der Touristenroute zwischen Black Church und Kirkjufell
Auf dem Rückweg ziehen dunkle Wolken auf. Wir steigen ins Auto und es beginnt in Strömen zu regnen. Macht nichts. Auf der weiteren Strecke liegen viele klassische Spots, die man zwar gesehen haben muss, von denen es aber Millionen Fotos im Internet gibt. Die Black Church ist einer von ihnen. Nett anzuschauen, doch ein Kleinbus nimmt uns die Sicht.
Nach und nach kommen viele weitere Autos angefahren. Fast rammt uns ein rückwärtsfahrender Dacia Duster, der wild herum rangiert, um die beste Sicht für ein perfektes Foto (aus dem Auto) zu bekommen.
Ich drehe die Klimaanlage auf, um die Feuchtigkeit loszuwerden. Im Starkregen fahren wir weiter. Vor uns liegt ein weiterer sehr bekannter Spot, der Berg Kirkjufell. Wenn du ihn nicht kennen solltest, schau ihn dir in der Google Bildersuche an. Vor Ort waren die Bedingungen leider nicht optimal, um es vorsichtig auszudrücken. Ich dachte das Auto kippt um, bei dem Sturm.
Wir fahren weiter. Doch statt aufs Navi, starren wir in den Himmel. Ein Regenbogen, wunderschön! »Ich möchte unbedingt zum Anfang des Regenbogens fahren«, rufe ich euphorisch. Doch Pino raubt mir jede Illusion. »Den erreicht man nie«, sagt er. Ich bin traurig. Es ist wie vor 20 Jahren, als ich festgestellt habe, dass ich mit der Zunge nicht an meinem Ellenbogen lecken kann. Und während ich das schreibe, wette ich, dass du es gerade ausprobiert hast.
Stykkishólmur
Wir folgen dem Regenbogen und stellen fest, dass wir bereits seit dreißig Minuten in die falsche Richtung fahren. Falsch im Sinne unserer Route, denn vor uns ist die Straße zu Ende. Ab hier geht es nur mit der Fähre weiter. Wir sind in Stykkishólmur, wie auch immer das passieren konnte. Auffällig ist die Kirche – die Stykkishólmskirkja – sie thront auf einem Hügel über dem Ort. Ich wittere ein Fotomotiv! Es regnet, mal wieder. Pino schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, als ich meine Nikon D800 in eine Pfütze lege. Aber ich habe ein Zielfoto vor Augen! Die Fenster der Kirche sind bodentief, die Pfützen reflektieren, die Kamera muss rein. Es nützt ja nichts.
Die Kamera funktioniert noch, der Mietwagen auch. Wir fahren zurück, zur ursprünglich geplanten Route. Auf dem Weg sehen wir einen weiteren Jimny am Straßenrand stehen, optisch fast baugleich, nur ein wenig sauberer.
Und was machen Jimny-Fahrer am Straßenrand? Nein, pinkeln waren wir schon. Sie gucken sich einen Wasserfall an. Wasserfälle gehen immer.
Jetzt gibt es Ärger und der wird teuer
Mittlerweile ist es 19 Uhr. Wir sind seit 11 Stunden unterwegs. Es liegen aber noch gut 100 km vor uns und die Strecke führt mal wieder über eine der Schotterpisten, auf der jede Geschwindigkeit über 60 km/h einem Selbstmordkommando gleicht. Das Radio versucht vergeblich einen der wenigen isländischen Radiosender zu finden. Wir sind abseits der Zivilisation. Die 80 PS vom Jimny sind hart gefordert. Wir sind froh, als wir endlich wieder eine gut ausgebaute Asphaltstraße erreichen. Jetzt geht es eine wunderschöne, langgezogene Senke hinab ins Tal. Die Abendsonne scheint mir ins Gesicht. »Das Leben ist schön«, denke ich mir. Und dann passiert es!
Ein weißes Auto kommt uns entgegen und sofort geht das Blaulicht an. Es ist die Polizei! Wo kommt die denn her? Im Rückspiegel sehe ich, wie der Streifenwagen ein filmreifes Wendemanöver startet. Es ist wie bei Need for Speed. Auf die Idee anzuhalten komme ich trotzdem nicht. Aber das Blaulicht kommt immer näher. Es sitzt mir direkt im Nacken. Genau wie das schlechte Gewissen. Ich halte an.
Im Rückspiegel sehe ich, wie ein Polizist aussteigt und zu uns läuft. Ich öffne das Seitenfenster. Er guckt mich skeptisch an, spricht aber Isländisch mit mir. Ich verstehe kein Wort. Er wechselt ins Englische und fragt mich, ob ich weiß, wie schnell ich gefahren bin. Ich schätze auf 100 km/h. Er korrigiert auf 121 und gibt mir seinen vollen Respekt, weil er gar nicht glauben kann, dass ein Suzuki Jimny so schnell fahren kann.
Ich versuche es auf die freundliche Art mit den üblichen Ausreden, dass ich aus Deutschland komme, wir kein Tempolimit haben, ich verträumt die isländische Landschaft genossen habe und eigentlich ein netter Kerl bin. Dann sagt er streng:
Follow me to the police car
Ich folge ihm. Er fragt mich, ob ich einen Führerschein habe. Ich reiche ihn rüber. Die nächsten 10 Minuten sagt er nichts mehr. Ich sitze auf dem Beifahrersitz im Polizeiauto und er füllt ein Formular aus. Dann zeigt er auf sein Radargerät im Auto. Damit kann er während der Fahrt die Geschwindigkeit entgegenkommender Fahrzeuge messen. Fiese Sache. Er klärt mich darüber auf, dass man auf Island maximal 90 km/h fahren darf. Ich war also 31 km/h zu schnell unterwegs.
Er zeigt auf die Zeile mit einer Geschwindigkeit von 120-130 km/h. Ich frage ihn, ob er nicht 1 km/h abrunden kann und schiebe seinen Finger auf die Zeile mit 110-120 km/h. »Yes, we can do that«, sagt er. Läuft, denke ich mir. Dann sagt er noch: »You get 20% off«. Ich freue mich und frage ihn, seit wann es bei der Polizei einen »speed limit sale« gibt. Er klärt mich auf, dass der Rabatt dann entsteht, wenn man sofort bezahlt. Anschließend holt er ein laminiertes A4-Blatt mit Preisen für zu schnelles Fahren raus. Das Lachen vergeht mir schlagartig.
Ich seufze und verabschiede mich vom Kauf eines neuen Vollformatobjektivs. Ich gebe ihm meine Kreditkarte, gebe den PIN ein und darf weiterverfahren.
Wie die Reise weitergeht, erfährst du im dritten Teil.
[custom-related-posts title=“Ähnliche Beiträge“ none_text=“None found“ order_by=“title“ order=“ASC“]
Hinterlasse eine Nachricht