Ein Familienurlaub ist keine Fotoreise. Eine Erkenntnis, die nicht neu ist. Aber schwer zu akzeptieren. Es fühlt sich an wie im Film: »Und täglich grüßt das Gürteltier«. Ich wache auf, blicke auf 3.000 Meter hohe Berge und denke: »hach ja […] Papa ist auch Fotograf«.
Sofort schießen Eskapismus-Gedanken durch meinen Kopf. Ein Gefühl totaler Freiheit macht sich breit; der Drang nach einem Mikroabenteuer. Dazu der Blog. Meine Leser. Der Wunsch etwas zu erleben, was ich hier teilen kann. In einer Welt, wo sich alle versuchen zu überbieten. Durch immer exotischere Reiseziele. Mit immer besseren Fotos. Perfekt inszenierte (Schein)Welten auf Instagram. Während ich zum 91. Mal mit meiner kleinen Tochter die Wasserrutsche im Erlebnisfreibad Finkenberg runterrutsche.
Doch heute ist alles anders! Es ist 3 Uhr morgens, wir sind im Urlaub im Zillertal und niemand hat bemerkt, dass ich mir den Wecker zum Fotografieren gestellt habe. Der Trick ist, dass ich das Smartphone nicht mehr als Wecker benutze – es ist nicht smart genug! Stattdessen trage ich mein Fitnessarmband über Nacht und lasse mich sanft durch ein Vibrieren am Handgelenk wecken. Kleinigkeiten, die das Zusammenleben mit einem durchgeknallten Foto-Abenteurer enorm verbessern. Denn Hand aufs Herz: Das kennst Du doch auch, wenn deine Freundin das Klingeln vom Handy 1/10 sec. eher hört als du selbst, dann wach wird und es dir vorhält, als hätte das Teil zwei Stunden Nonstop gebimmelt.
Gut. Ich bin also wach und du hoffentlich auch noch. Ich muss schon jetzt ankündigen, dass dieser Blogbeitrag vermutlich zu lang wird. Wenn du aussteigen willst, ist jetzt der ideale Zeitpunkt. Oder du liest weiter und ich zeig dir zur Auflockerung ein paar Fotos. Deal?
Gut 🙂
Es lief so ähnlich wie im oben angesprochenen Film aus dem Jahr 1993, an dem es den misanthropischen Wettermann Phil Connors am Murmeltier-Tag in die Provinz verschlägt, um über das alljährliche Wetter-Ritual zu berichten. Denn am Vorabend habe ich das Wetter ganz genau beobachtet! Ein heftiges Gewitter jagte übers Zillertal.
Unwetter mit Starkregen. Genau wie am Tag zuvor, worauf der Morgen mit einer herrlich wolkenverhangenen Stimmung gestartet ist. Ein Hochgenuss für Landschaftsfotografen.
Das Foto ist übrigens an der Zillertaler Höhenstraße entstanden, zu der wir gleich kommen. Hier grüßt übrigens wirklich das GürtelMurmeltier täglich. Und zwar im Murmelland, an der Kaltenbacher Skihütte. Für Kinder ein echtes Erlebnis.
Das Zillertal hat aber einen Nachteil, der schon im Namen ersichtlich wird. Es liegt im Tal. Auf 575m ist unsere Ferienwohnung. Und schon beginnen die Probleme, für Fotografen, die zum Sonnenaufgang auf einem Gipfel stehen wollen. Wer hoch hinaus will, muss ganz nach oben. Die erste Seilbahn fährt aber erst 9 Uhr. Viel zu spät! Vom Tal zu Fuß auf den Gipfel? Sechs Stunden harte Wanderung. Mit dem Fotorucksack? Zu stressig. Die Lösung?
Die Zillertaler Höhenstraße
Mit dem Auto kann man ganz bequem auf 2000 m Höhe fahren: und zwar auf der Zillertaler Höhenstraße. Sie wurde zu Beginn der 60er Jahre erbaut, ist 35 km lang und von den Orten Hippach, Zellberg, Aschau, Ried und Kaltenbach erreichbar. Befahren kann man sie Tag und Nacht. Ideal also, wenn man nach dem Abendbrot mit der Familie noch schnell die Milchstraße fotografieren möchte.

Nikon D800, 20mm, f/2.0 mit 15 sec. bei ISO 2000
Hier stehe ich auf ca. 1.500 Höhenmetern, direkt an der Straße. Das Zillertal ist weit genug im Tal, um die Lichtverschmutzung in Grenzen zu halten. Aber ich schweife schon wieder ab. Eine Unart! Bleiben wir beim Sonnenaufgang.
Auffahrt zum Melchboden
Mittlerweile ist es 4 Uhr morgens. Ich fahre entlang der Zillertaler Höhenstraße und erreiche die Mautstation. 8 EUR pro PKW werden hier (normalerweise) fällig. Doch um diese Uhrzeit ist das Kassenhäuschen unbesetzt.
Also donnere ich weiter. Mein Ziel ist der höchste Punkt der Zillertaler Höhenstraße: die Jausenstation Melchboden auf 2.020 m (Fahrzeit von Zell am Ziller rund 30 Minuten). Dort angekommen ist es menschenleer. Keine Autos. Ich bin ganz allein. Fast! Denn egal wohin ich trete, überall liegen diese kleinen schwarzen Molche auf dem Wanderweg.
Müsste der Melchboden nicht Molchboden heißen? Man weiß es nicht.
Wanderung zum Rauhenkopf
Die Zeit drängt. Zum Sonnenaufgang möchte ich auf einem Gipfel stehen. Der Weg führt mich zunächst zum Arbiskopf, der zwar ein Gipfelkreuz hat, als solcher aber keineswegs bezeichnet werden kann. Ich folge den Schildern in der Nacht.
Mein Ziel ist das Kreuzjoch. Der Weg wird als mittelschwer angegeben und fühlt sich auch so an. Nach 40 Minuten erreiche ich den Gipfel des Rauhenkopf. Die Dämmerung setzt ein – und die Enttäuschung auch. Das Wetter ist gegen mich! Kein Nebel. Keine dramatischen Wolken. Stattdessen ein flauer Himmel. Noch dazu ein dickes Wolkenband, genau über den Gipfeln, was verhindert, dass sich die Sonne sichtbar über den Gral peitschen kann.
Mir wird klar: Das wird heute nichts. Aber ein Selfie muss sein. Doch überall ein lautes surren. Als würden 10 Drohnen gleichzeitig fliegen. Und Fliegen sind das Stichwort. Auf jedem Foto (out-of-cam) waren sie im Bild, genau an meinem Kopf.
Sie waren riesig. Wie Hornissen. Kannst du sie auf deinem kleinen Smartphone-Display überhaupt erkennen?
Wie auch immer. Der Sonnenaufgang kann maximal als mittelmäßig eingestuft werden. Aus Verzweiflung schnalle ich mein Teleobjektiv auf, um ein paar Nahaufnahmen der Gipfel zu knipsen. Irgendwie muss ich den Fehlkauf vom 70-200-mm-Objektiv ja kompensieren.
Dann schafft es die Sonne endlich über die Wolkenschicht. Ich versuche mich inszeniert ins Bild zu stellen. Merke dann aber im letzten Augenblick, dass ich zur Hälfte hinter einem Felsen stehe. Ich flitze zurück, aber der Selbstauslöser war schneller als ich …
Ein verkorkster Fotomorgen – aber ein sehr schönes Erlebnis am Berg. Keine Menschen weit und breit, eine himmlische Ruhe. Bis ich meine Drohne starte 🙂
Fliegen macht Spaß und rettet den Morgen.
Dann trete ich den Rückweg an, komme wieder am Arbiskopf vorbei und blicke auf den leeren Parkplatz vom Melchboden.
Noch immer keine Menschen weit und breit. Nur ein paar Kühe besetzen die Zillertaler Höhenstraße und zwingen mich zum Schritttempo.
Nach 10 Minuten passiere ich erneut die Mautstation. Doch auch jetzt, um 7 Uhr morgens, ist dort niemand, der die Mautgebühr abkassieren möchte. Glück gehabt. 7:30 Uhr bin ich zurück in der Ferienwohnung. Die Familie schläft, die Frühstücksbrötchen stehen bereit. Alles richtig gemacht.
Fazit
Ein kleines Mikroabenteuer belebt den Familienurlaub. In Tirol ist die Zillertaler Höhenstraße ein guter Ausgangspunkt, um in kurzer Zeit Höhenmeter zu gewinnen. Gewinnen kann man als Fotograf aber nicht immer. Landschaftsfotografie ist häufig eine Kette von Enttäuschungen, auf dem Weg zum perfekten Foto, was ich dir heute leider nicht zeigen konnte. Ich hoffe der Monolog hat dir dennoch gefallen und dich ein wenig unterhalten. Also schnapp dir die Kamera, geh raus und mach das Beste daraus!
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