Seit zehn Jahren blicke ich sehnsüchtig hinauf. Die Hohe Munde (2.592 m) hat mich schon immer fasziniert – dieser schroffe, exponierte und scheinbar unbezwingbare Berg. Einmal oben auf der Spitze stehen: ein lang gehegter Traum.

Doch damals gab es andere Prioritäten. Urlaub auf dem Bauernhof, mit ausgedehnten Spaziergängen rund um die Pfarrkirche St. Magdalena. Die Wanderstöcke wurden gegen den Kinderwagen eingetauscht.

Zehn Jahre später
Oktober 2025. Wir sind zurück in Leutasch. Zum fünften Mal. Die Kinder sind mittlerweile groß. Ich liege im Bett unserer Ferienwohnung und schaue sämtliche YouTube-Videos von Wanderern, die die Hohe Munde bezwungen haben.

»Was guckst du da?«, fragt meine mittlerweile elfjährige Tochter. Sie legt sich neben mich, schweigt und schaut eine ganze Weile fasziniert zu. Sie spürt, wie ich am Grübeln bin. Ist die Tour zu schwer? Passt das Wetter? Und dann sagt sie:
»Papa, ich komm mit!«
Ich bin baff. Ausgerechnet sie – der größte Wandermuffel aller Zeiten, der die meiste Zeit im Urlaub auf dem E-Scooter unterwegs ist, um ja nicht laufen zu müssen. Und morgen will sie mit mir auf die Hohe Munde steigen? Acht Stunden Wanderzeit, über 1.400 Höhenmeter. Nie im Leben!
Ich erinnere sie daran, wie wir vor zwei Monaten mit viel Gejammer und Überredungskunst gerade einmal bis zur Rauthhütte gekommen sind. Ab dort beginnt aber erst der eigentliche Aufstieg. Doch sie wirkt entschlossen.
»Weck mich morgen einfach um sechs.«
Eines muss man ihr ja lassen: Sie hat Ehrgeiz. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, zieht sie es eisern durch. Letztes Jahr war es – spontan – der Zehn-Meter-Turm im Freibad. Wir standen eine Stunde oben. Ein Auf und Ab der Gefühle. Und dann ist sie gesprungen. Einfach so. Demnach überrascht mich eigentlich gar nichts mehr.
Der nächste Morgen
Das Licht im Bad brennt bereits. Da steht sie wirklich – bereit für den Aufstieg. Wenngleich sie eher aussieht, als würde sie zur Schule gehen. In Jeans, normalen Stiefeln und ihrer Alltagsjacke. Nur die Haare hat sie zu zwei Zöpfen geflochten und sich Mamas Stirnband geliehen.
»Wir können los, Papa.«
Ich prüfe den Wetterbericht: vormittags tiefliegende Wolken, ab Mittag Sonne. Genau darauf habe ich gehofft: Über den Wolken stehen und wie durch Zuckerwatte auf Leutasch blicken.

Start am Mundestadl
Wir starten! Mit dem Auto geht es über die Buchener Landstraße nach Moos. Von der Hohen Munde sieht man noch nichts – sie steckt komplett in den Wolken. Das wird spannend.

Nach fünf Minuten erreichen wir den Wanderparkplatz am Wirtshaus Mundestadl, der komplett leer ist. Schnell noch das Tagesticket lösen, dann geht’s los.

Aufstieg zur Rauthhütte
Bewusst nehmen wir heute den steileren Weg über die Ski-Piste, hinauf zur Rauthhütte auf 1.600 m, um keine Zeit zu verlieren.

Doch schon nach zehn Minuten stehen wir vor einem verschlossenen Weidezaun.

»Betreten verboten!« Im Ernst? Wir drehen um, finden den richtigen Weg und folgen dem grauen Ausblick.

Ich staune, wie gut gelaunt meine Tochter ist. Kein Klagen, kein Murren – im Urlaub freiwillig früh aufstehen und wandern. Unfassbar!

Nach exakt einer Stunde erreichen wir die Rauthhütte. Die ersten 400 Höhenmeter sind damit geschafft.

Der Wirt kommt kurz nach draußen, scheint sich aber kein Stück für uns zu interessieren. Doch Einkehren wollen wir sowieso nicht – es ist noch zu früh und wir haben ein großes Ziel vor uns: die Hohe Munde, die immer noch tief in den Wolken versunken ist.

Der eigentliche Aufstieg: Rauthhütte – Hohe Munde
Jetzt wird es ernst: drei weitere Stunden geht es von nun an steil bergauf.

»Komm Papa, wir müssen los!«
Während ich meinen Rucksack zurechtzupfe, marschiert meine Tochter entschlossen voraus. Sie möchte durch die Wolken laufen, sie berühren und einatmen.


Nach 30 Minuten kommen die ersten kleinen Kletterpassagen – abwechslungsreich und spannend. Sowas lieben Kinder.

Auf 1.800 m Höhe stehen wir plötzlich mitten in den Wolken. Kleine Lücken geben den Blick ins Inntal frei.


Und auch wenn man beim „Berühren“ der Wolken nichts davon spürt, eines spürt man deutlich: Es wird immer steiler. Auch wenn es auf den Fotos nicht wirklich so rüberkommt.

Nach nur zwei Stunden überschreiten wir bereits die 2.000-Meter-Marke.

Doch alles bleibt grau in grau.
Gepaart mit ein wenig Erschöpfung kommen langsam Zweifel auf: Werden wir heute noch die Sonne sehen?

Doch wir geben nicht auf! Die Stimmung bleibt positiv.
»Papa, da liegt ja Schnee. Wow!«

Wir liefern uns eine kurze Schneeballschlacht und klettern dann weiter: wir wollen ja keine Lawine auslösen 😉
Die Markierungen im Fels sind übrigens hervorragend. Verlaufen? Kaum möglich.
»Da geht’s lang, Papa.«

Nach 1.000 Höhenmetern machen wir eine erste Pause. Spekulatius-Kekse und Bananen geben schnelle Energie. Nur der Gipfel bleibt weiterhin unsichtbar.

Wir stoßen auf einen Felsvorsprung. Hier scheint es nicht weiter zu gehen.

Die Wolken ziehen schnell, der Wind pfeift im Gesicht. Und wir erschrecken ein wenig, als wir sehen, wie weit es hier nach unten geht.

Einige Stellen nehmen wir im Sitzen – so steil ist es.

Und plötzlich – völlig unverhofft – bricht die Sonne durch. Wir können unser Glück kaum fassen.

Es ist 13 Uhr. Alles läuft genau nach Plan. Schnee, Wolken, tiefes Blau. Wir sind über den Wolken. Der Ausblick ist sensationell!

»Bleib bitte genau so stehen!«. Der Anblick hat mich sofort an das Gemälde von Caspar David Friedrich erinnert:

„Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (Quelle: Wikipedia)
Die letzten Meter zum Ostgipfel
Es ist sagenhaft. Ich weiß gar nicht, in welche Richtung ich zuerst schauen soll. Schnee vermischt sich mit Wolken. Dazu das Blau als perfekter Kontrast. Wir sind im Himmel!

Vorbei am Lawinenschutzzaun geht es hinauf zum Mundekopf. Es ist deutlich breiter als erwartet – genau wie unser Gastgeber Alois sagte: »Da oben kannst locker Fußball spielen.«

Der Blick ist sagenhaft. Es fühlt sich an wie im Flugzeug. Erstmals begegnen wir anderen Wanderern, die aber ins Tal hinabsteigen.

Umso besser, denn damit haben wir das Gipfelkreuz ganz für uns allein, was wir soeben erreicht haben.
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Am Gipfel der Hohen Munde
Zehn Jahre habe ich davon geträumt. Jetzt stehe ich endlich hier – und schaue durch die Wolken hinab ins Inntal.


Und das Beste daran: Ich bin nicht allein. Meine Tochter läuft in Jeans zum Gipfelkreuz. Das hätte ich nie erwartet.

Der obligatorische Eintrag ins Gipfelbuch darf natürlich nicht fehlen.

Statt Gipfelbier gibt’s eine Tafel Schokolade. Das haben wir uns verdient 🙂

Parallel bin ich am Fotografieren und weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist genau die Stimmung, die ich mir bei meiner Alpenüberquerung im Juni gewünscht hätte.

Ich beschließe, die Drohne in die Luft zu schicken. Der erste Einsatz meiner neuen DJI Mini 5 Pro auf einem Gipfel.




Da Fotos die Stimmung allein nicht einfangen können, empfehle ich dir mein Video:
Der Abstieg von der Hohen Munde
Nach einer Stunde machen wir uns auf den Rückweg. Meine Tochter bekommt meine Wanderstöcke. »Vier Beine sehen mehr als zwei« oder wie ging das Sprichwort nochmal? :-p

Ich halte kurz inne. Wie schnell doch die Jahre vergangen sind. Damals stand ich unten mit dem Kinderwagen. Heute stehen WIR hier oben. Ein unglaublicher Moment.
Doch der Abstieg fordert Konzentration. Steil, rutschig, technisch anspruchsvoller als der Aufstieg.


Nach 30 Minuten tauchen wir wieder in die graue Suppe ein.

Später gibt es erste Lichtblicke ins Tal, auf das wunderschöne Leutasch.

In unter zwei Stunden erreichen wir schließlich die Rauthhütte, gönnen uns jeder eine große Cola und steigen weiter ab.

Nach insgesamt 2:30 Stunden sind wir vom Gipfel der Hohen Munde zurück am Parkplatz – rekordverdächtig! Und damit endet die Tour und dieser Blogbeitrag.

Abschließende Worte
Es war einer der ganz besonderen Momente, der für immer in Erinnerung bleiben wird. Leni, danke, dass du mich begleitet hast. Ich bin unglaublich stolz auf dich! Vielleicht liest du diesen Beitrag eines Tages selbst – und wirst dich darüber genauso freuen wie ich.
Und auch dir danke ich, dass du uns bis hierher begleitet hast.
Kommentar
Hi Thomas, dein Bericht ist echt berührend! Hast ne tolle Tochter! Gratulation!
Ich weiß nicht, ob das meine Töchter so enthusiastisch mitgemacht hätten!
Na ja, der Vater ist eben inspirierend!
Liebe Grüße aus Naumburg!