Der vierte Tag unserer Alpenüberquerung steht an. Da die Venetbahn in Zams wegen Bauarbeiten noch immer außer Betrieb ist, kürzen wir die heutige Etappe etwas ein und fahren direkt mit dem Bus nach Mittelberg ins Pitztal. Es wird eine entspannte Tour, die dennoch einiges zu bieten hat: Ein knackiger Aufstieg zur Braunschweiger Hütte, mit Gletscherblick, einem Abstecher zum Pitztaler Jöchl – und endlich kommt meine große Kamera zum Einsatz, die ich seit Tagen eher nutzlos über die Alpen schleppe.
Die Tour im Überblick
- Distanz: 5,3 km
- Gehzeit: 2,5 h
- Höhenmeter: ↑ 1.070 m ↓ 59 m
Morgens in Imst
Nach einer entspannten Nacht mit Privatsphäre, eigenem Bad und Waschmaschine fühlt sich unsere Ferienwohnung in Imst fast luxuriös an. Während draußen unsere Wäsche im Wind flattert, zaubert Robert das ideale Bergsteigerfrühstück aus den Resten unseres Hofer-Einkaufs von gestern: 10 Eier, Kidneybohnen und zwei Dosen Thunfisch – der perfekte Kalorienmix für den Tag.
Unser Vermieter bringt uns in der Zwischenzeit die Imst Card vorbei. Seinen Hinweis von gestern, »schreibt irgendwas drauf, interessiert mich nicht«, haben wir wörtlich genommen.
Und so steigen wir als die drei »Sternwart-Brüder« mit Ermäßigung in den Bus.
Von Imst nach Mittelberg
Die Busfahrt nach Mittelberg dauert etwa 1:15 h und führt durch das wunderschöne Pitztal.
Gegen 11:30 Uhr erreichen wir die Wendestelle in Mittelberg. Hier beginnt unsere Etappe zur Braunschweiger Hütte in den Ötztaler Alpen. Wir sind ganz allein.
Rucksacktransport per Materialseilbahn
Schon nach 30 Minuten erreichen wir die Talstation der Materialseilbahn. Hier treffen wir eine junge Abiturientin aus Dresden, die ab heute für drei Monate auf der Braunschweiger Hütte arbeitet – als Zwischenstation vor dem Studium. Super Sache. Werde ich meinen Kindern später auch vorschlagen.
Mit der Materialseilbahn kann man für 5 € pro Gepäckstück seinen Rucksack zur Hütte befördern lassen. Den Luxus gönnen wir uns. Es sind fast 30 Grad und der Aufstieg auf 2.759m hat’s in sich.
Zum Glück habe ich meinen kleinen 10L-Zweitrucksack für die Wertsachen dabei. Doch dann das Dilemma: Kamera oder Wasserflasche? Beides passt nicht rein.
Ich entscheide mich für die 1 €-Wasserflasche und lasse die 4.000 €-Kamera unbeaufsichtigt zurück. Gute Entscheidung?
Aufstieg zur Braunschweiger Hütte
Da der Forstweg gesperrt ist, nehmen wir den steilen Murmeltiersteig.
Er führt zum imposanten Pitze-Wasserfall, der ordentlich Power hat. Hier ein kurzes Video als kleiner Medienbruch, zwischen der sonst trostlosen Buchstabensuppe:
Der weitere Weg führt auf einem seilgesicherten Pfad durch Geröll und alpine Landschaften.
Je höher ich komme, desto mehr steigt das Unbehagen: Was ist mit meiner Kamera? Seit einer Stunde liegt sie unbewacht in der Talstation der Materialseilbahn, die noch immer nicht abgefahren ist.
Robert scherzt: »Gleich kommt ein weißer Transporter aus Polen.«
Das wäre blöd. Aber hey! Wenigstens habe ich die Speicherkarte aus der Kamera genommen, damit niemand erfährt, was wirklich auf der Feuerwache in Holzgau passiert ist 😉
Und während ich mich frage, wie weit es eigentlich noch zur Hütte ist, liegt sie bereits hoch oben im Geröll vor uns.
Nach gut drei Stunden und über 1.000 Höhenmetern erreichen wir die Braunschweiger Hütte. Unsere höchste Übernachtung entlang des E5. Ein alpiner Klotz inmitten von Felsen, Gletscher und Hochgebirgspanorama.
Check-in auf der Hütte
Wir werden sehr freundlich empfangen. Der Gastraum ist urig, der Ablauf bestens organisiert.
Unser Zimmer ist Nr. 6 »Rechter Fernerkogel«, ein 4-Bett-Zimmer mit Steckdose und Mülleimer (absoluter Luxus!). Auch die Sanitäranlagen überzeugen, mit sehr modernen Duschen.
Mikroabenteuer mit Matti: rauf aufs Pitztaler Jöchl
Da Matti morgen abreist, will er heute unbedingt noch die magische 3.000 m-Marke knacken. So hoch war er noch nie. Also brechen wir um 17 Uhr spontan zum Pitztaler Jöchl auf – laut Schild eine Stunde Gehzeit. Nur Robert klingt sich aus und chillt lieber auf der Hütte.
Der Aufstieg ist steil, schneebedeckt und anspruchsvoller als gedacht.
Doch ohne schweren Rucksack kommen wir flink durch. Nach 30 Minuten erreichen wir den Sattel auf 2.995 m.
Für Matti nicht genug: Das Pitztaler Jöchl ist zu niedrig für sein 3.000er-Ziel. Also klettern wir noch ein paar Meter den Berg hinauf, um die fehlenden Höhenmeter wettzumachen. Matti kommt dem Himmel dabei so nah, dass er mühelos die Wolken wegpusten kann.
Nun wird es Zeit für den Abstieg, in einer Stunde ist Küchenschluss. Ich bestelle schonmal vor.
Beim Abstieg umgehen wir das Schneefeld über einen seilgesicherten Steig – derselbe, den wir morgen mit schweren Rucksäcken gehen müssen. Da ist Konzentration gefragt.
Geschafft! Die Hütte ist in Sichtweite.
Kaiserschmarrn & alte Bekannte
Pünktlich 30 Minuten vor Küchenschluss kehren wir zur Braunschweiger Hütte zurück. Auf mich wartet einer der besten Kaiserschmarrn der Welt – mit mehr Zucker als Schnee auf dem Gletscher.
Im Gasthaus dann ein Wiedersehen mit alten Bekannten, die wir entlang unserer Alpenüberquerung getroffen haben. Wir haben ihnen Spitznamen gegeben, als Insider: Das »A-Team«, »Fight! Die Dünne« und natürlich Fluppenhans, der rauchende Bergführer, den wir schon von der 2. Etappe kennen. Seine Gruppe trifft sich morgen um 6 Uhr. »In langen Hosen!«, betont er.
Sonnenuntergang auf der Braunschweiger Hütte
Kurz nach dem Abendessen steht die Sonne tief über der Braunschweiger Hütte – kitschig schön. Endlich darf meine Kamera zeigen, was sie kann.
Leider fehlen mal wieder die passenden Wolken. Der Sonnenuntergang ist zwar nett anzusehen, aber wenig dramatisch.
Was aber immer geht, sind Fotos im Gegenlicht. Robert und Matti bilden die passende Silhouette.
In der Zwischenzeit kündigt sich ein wenig Alpenglühen hinter der Braunschweiger Hütte an.
Doch das beste Motiv ist bekanntlich Matti, der genau hier mit seinem Weinglas das perfekte Foto abliefert.
Während sich die Sonne unspektakulär über der Braunschweiger Hütte verabschiedet […]
[…] zieht kurz darauf noch ein leichtes Abendrot über den Gletscher.
Dann kehrt die Nacht ein.
Hüttenleben
Um die Nachtruhe nicht zu stören, bereite ich mein Bett vor. Hüttenschlafsack ausbreiten, Zahnbürste und Handtuch bereitlegen. Nebenbei lerne ich unseren heutigen Zimmergenossen kennen. Detlef, 57, aus dem Ruhrpott. Es ist seine erste Mehrtageswanderung, für die er vorab auf Gran Canaria trainiert hat. Er liegt genüsslich im Doppelstockbett und redet mit mir, als würden wir uns seit 20 Jahren kennen.
Und wie viele auf dem E5 trägt auch er ein Päckchen mit sich herum: Burnout, Neuanfang, Selbsterkenntnis. Robert schenkt ihm eine Schlafmaske – falls wir später nochmal das Licht anmachen. Er nimmt’s mit Humor.
Ich ziehe mir meine warme Jacke an, schnappe meine Kamera und verlasse das Zimmer. Mit Bier und Schnapserl geht der Abend auf der Terrasse weiter. Fluppenhans und seine Schützlinge sind bereits auf ihren Zimmern. Doch Olli, den wir vor zwei Tagen auf der Memminger Hütte kennengelernt haben, gesellt sich noch zu uns.
Robert erzählt, wie er während unseres Abstechers zum Pitztaler Jöchl im Bett lag und plötzlich eine „alte Omi“ ins Zimmer kam und schrie: »Hilfe, da liegt ein Fremder«. Man hat ihr erzählt, sie hätte ein Einzelzimmer gebucht. Es sind die vielen kleinen Anekdoten, die eine Hüttenübernachtung zu etwas Besonderem machen.
Ganz besonders ist heute auch der Nachthimmel. Ein weißes Wolkenband spannt sich über die Bergkulisse. »Chemtrails bei Nacht?«, spotte ich.
Dann kehrt die totale Dunkelheit ein. Die Sterne leuchten magisch am Himmel. Ein Spektakel, was man als Stadtmensch sonst nie zu Gesicht bekommt.
Milchstraße fotografieren
Und dann kommen sie, die technischen Probleme eines Fotografen, die man beim Lesen des Blogbeitrags nicht sieht. Ich habe kein Stativ dabei, möchte aber die Milchstraße fotografieren. Aber wie bekomme ich die Kamera mit 20 Sekunden Belichtungszeit verwacklungsfrei zum Himmel positioniert? Hier hilft nur improvisieren, mit meinem Pullover auf einem schiefen Holzpfeiler.
Das Ergebnis? Nicht ideal. Aber akzeptabel.
Um die Braunschweiger Hütte ins Bild zu bekommen, stelle ich die Kamera auf einer der Holzbänke ab. Robert, Matti und Olli müssen die Terrasse verlassen. Sie verwackeln sonst das Foto.
Während ich versuche, mit meinem Objektivdeckel die Kamera weiter zu erhöhen, fällt mir der Deckel vom Geländer hinab in die Büsche. Erst nach 10 Minuten Suche mit der Taschenlampe vom Smartphone finde ich ihn wieder.
Reicht für heute. Es ist fast 1 Uhr. Zeit zum Schlafen. Gute Nacht!
Ausblick auf Etappe 5
Morgen geht es hinab ins Bergsteigerdorf Vent und von dort weiter zur Martin-Busch-Hütte.
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2 Kommentare
Sehr gute und detailreiche Schilderung der einzelnen E5 Etappen mit top Fotos. Vielen Dank! :-))
Danke für das Feedback, zwei Etappen kommen noch 🙂